Syrische Flüchtlinge sollen in der Nähe ihrer Heimat bleiben und nach Kriegsende beim Wiederaufbau helfen – mit guter Vorbereitung

Als im September im Libanon das neue Schuljahr anfing, konnten nur 200 000 syrische Flüchtlingskinder den Unterricht besuchen. Für die übrigen 600 000 hatte das Land einfach keine Plätze. Der Ägypter Ahmed Saeed vom Online-Bildungsanbieter ITWorx wollte nicht tatenlos zusehen und eröffnete in einem Flüchtlingslager im Dorf Saadnayel im Bekaa-Tal eine Schule in einem Zelt. Nach nur drei Wochen hatte er 50 Schüler jeden Alters. Viele waren nicht einmal vier Jahre lang in der Schule gewesen und lernten nun unter Anleitung nur einiger weniger Lehrer den Stoff des libanesischen Lehrplans auf 60-Dollar-Tablets. „Sie haben jetzt das Gefühl, dass sie wichtig sind“, meint Saeed. „Endlich kümmert sich jemand um sie.“

ITWorx glaubt, dass nach diesem Vorbild alle syrischen Flüchtlinge unterrichtet werden könnten. Mit der Schule will das Unternehmen jenen wieder eine Zukunft geben, die vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat flüchten mussten. Die Idee hinter ITWorx: Flüchtlinge, die Hilfe erhalten und dadurch in der Region bleiben können, werden nach Kriegsende mit einer größeren Wahrscheinlichkeit in ihre Heimat zurückkehren und ihr Land wieder aufbauen. „Man kann nach einer politischen Lösung für das Flüchtlingsproblem suchen“, sagt Romen Mathieu, Chairman von ITWorx. „Aber viel besser ist es, auf Kultur und Investitionen zu setzen – und so den Menschen in der Region neue Hoffnung zu geben.“

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Projekte in den Grenzgebieten zu Syrien

Mit ihren Aktivitäten im Nahen Osten will die Europäische Investitionsbank zum Aufbau einer gewissen Stabilität beitragen und den Flüchtlingen damit einen Anreiz geben, in der Nähe ihrer Heimat zu bleiben. Die Bank engagiert sich in vielfältiger Weise:

  • Als einer der ersten Investoren beteiligte sich die EIB im Jahr 2006 mit 10 Millionen Euro am EuroMena-Fonds. Damals übernahm Romen Mathieu, der den Fonds leitet, die ägyptische Softwarefirma ITWorx. Daraus formte er später ein Bildungsunternehmen, das nun weltweit 5 Millionen Lernende zu seinen Kunden zählt.
  • Die EIB ist mittlerweile an zwei weiteren EuroMena-Fonds beteiligt, deren Schwerpunkt im Mittelmeerraum liegt. Wie intensiv sich die Bank in der Region engagiert, zeigt sich an dem Anstieg ihrer Beteiligungen an den Fonds, die sich 2008 auf 13 Millionen Euro und 2013 auf 20 Millionen Euro beliefen.
  • Zudem bereitet die EIB eine Fazilität von 71,5 Millionen Euro für den Mikrofinanzsektor in den südlichen Nachbarländern vor, mit der vor allem Projekte in Jordanien und Libanon gefördert werden sollen. Finanziert wird sie von der Europäischen Kommission und von der EIB selbst. Im April sollen die ersten Mittel fließen.
  • Die Bank ist in Libanon bereits an Mikrofinanzprogrammen von Al Majmoua beteiligt. Diese gemeinnützige Organisation vergibt 56 Prozent ihrer Darlehen an Frauen und seit 2014 auch Kredite an syrische Flüchtlinge. Die EIB hat Al Majmoua seit 2009 bereits zwei Mal unterstützt.

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  • In der Türkei wird die EIB-Gruppe ein Garantie- und Rückgarantieprogramm für Kredite an Unternehmen in Gebieten des Landes erweitern, die von Banken eher vernachlässigt werden. Über das Programm sollen künftig auch Flüchtlinge Kredite zu günstigen Konditionen aufnehmen können. Seit 2010 wurden aus der Greater Anatolia Guarantee Facility, an der auch die türkische Regierung beteiligt ist, 61,4 Millionen Euro vergeben. Diese Mittel ermöglichten Investitionen von 1 Milliarde Euro. Das Garantieprogramm wurde für Regionen in der Türkei eingerichtet, in denen das Einkommen weniger als 75 Prozent des Landesdurchschnitts beträgt und Unternehmen nur 10 Prozent des Darlehensvolumens der gesamten Türkei erhalten.
  • Die EIB prüft derzeit ein Darlehen für ein neues Krankenhaus mit 1 875 Betten im türkischen Gaziantep nahe der Grenze zu Syrien. Das Krankenhaus wird für die einheimische Bevölkerung gebaut, soll aber auch syrische Flüchtlinge versorgen, die das Gesundheitssystem der Region mittlerweile auf eine Belastungsprobe stellen. Auf der Baustelle können auch Syrer Arbeit finden. Das Krankenhaus soll 2019 fertig sein.
  • Die EIB hat in den zurückliegenden Jahren Erneuerbare-Energien-Projekte in Jordanien finanziert. 2015 sagte sie ihre Unterstützung für den Ausbau des Stromnetzes zu, um die Stromübertragung im Land zu verbessern. Das wird wiederum dem Wasserleitungsprojekt Wadi al-Arab in Jordanien zugutekommen, das die EIB im vergangenen Jahr unterzeichnete. Über die Wasserleitung, die 49,7 Millionen Euro kostet, soll Wasser in eine Gegend im Norden Jordaniens gepumpt werden, in der bereits große Trockenheit herrscht. Durch die Ankunft von Flüchtlingen aus Syrien hat sich die Lage weiter verschärft. Ab dem Jahr 2018 wird die 26 Kilometer lange Pipeline jährlich 30 Millionen Kubikmeter Süßwasser liefern. Dadurch dürfte sich die Lage in der Region stabilisieren, da es weniger Spannungen wegen der Wasserknappheit geben wird.

Vorbereitung auf eine hoffnungsvolle Rückkehr

Al Majmoua, eine gemeinnützige Mikrofinanzorganisation aus dem Libanon, fragte ihre libanesischen Kunden, was sie davon hielten, sich an Kreditprogrammen für syrische Flüchtlinge zu beteiligen. Sie stießen zunächst auf einhellige Ablehnung. „Es hieß: ‘Wie kommt Ihr nur auf die Idee, Syrern einen Kredit zu geben?’“, erzählt Youssef Fawaz, Executive Direktor von Al Majmoua. „Aber wir fanden, dass wir als Mikrofinanzorganisation das Thema nicht ignorieren durften.“

Das war 2013. Seitdem hat Al Majmoua Kurse für mehr als 8 000 syrische Frauen und Jugendliche organisiert und 200 von ihnen in ihr Programm für Gruppenkredite aufgenommen. Die Teilnehmerinnen wurden mit libanesischen Frauen bekannt gemacht und arbeiten mit diesen an gemeinsamen Projekten, bei denen sich vier oder fünf Frauen einen Gruppenkredit teilen. „Dabei wurden viele gute Beziehungen geknüpft“, erinnert sich Fawaz.

Die meisten Kundinnen von Al Majmoua stellen Kunsthandwerk her, arbeiten als Frisörinnen oder bieten andere Dienstleistungen an, bei denen sie ihre eigene Chefin sein können.

youssra nawasraYoussra Nawasra wuchs in Daraa auf und wollte Modedesignerin werden. Nach ihrer Flucht aus Syrien saß sie sechs Monate tatenlos in ihrer neuen Heimat in Baysour, einem Dorf im Libanongebirge südlich von Beirut. Dann überredete eine Tante sie zu einem Kurs, der von Al Majmoua gefördert wurde. „Das öffnete mir eine Tür, und ich schöpfte neue Hoffnung“, erzählt Nawasra. Sie absolvierte einen Ausbildungskurs in Nähen und besuchte Grundkurse in Betriebswirtschaft und Finanzen. Jetzt arbeitet sie als Näherin und überlegt, bei Al Majmoua einen Kleinkredit aufzunehmen, um ein eigenes Atelier zu eröffnen.

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Rawaa Moghrabi kam zu Al Majmoua, weil sie sich für eine Ausbildung zur Frisörin interessierte. Aber dann erwähnte sie, dass sie in Syrien ein Restaurant betrieben hatte. Daraufhin schickte Al Majmoua sie in einen Marketingkurs und gab ihr einen Kredit für einen Kühlschrank, damit sie sich mit einem Imbissstand selbstständig machen konnte.

Youssef Fawaz von Al Majmoua ist stolz darauf, dass die Organisation diesen syrischen Frauen helfen konnte, ein eigenes Einkommen zu haben und sich sogar ein bisschen zu integrieren. Er glaubt aber, dass sich der wahre Nutzen der Kurse von Al Majmoua erweisen wird, wenn der Bürgerkrieg in Syrien beendet ist. „Wenn unsere Kunden nach Syrien zurückkehren, können sie anhand unserer Kreditauskünfte nachweisen, dass sie zuverlässig sind“, erklärt er. „Das wird den Rückkehrern und dem ganzen Land helfen, wieder zur Normalität zurückzufinden.“

Aussichten auf eine nachhaltige Zukunft

Die 55 Meter langen Rotorblätter der 94 Meter hohen Windkraftanlagen des Jordan Wind-Projekts drehen sich funkelnd im Wüstenwind. Der Windpark Tafila in Jordanien wurde von der EIB mit einem Darlehen von 58 Millionen Euro unterstützt und nahm im September den kommerziellen Betrieb auf. Im Schatten der Konflikte in den Nachbarländern Syrien, Irak und Ägypten trotzte der Projektträger der Instabilität in der Region – so standhaft wie seine Windräder dem Wüstenwind. Das Darlehen für den Windpark ist eines von vielen, die die EIB in Jordanien vergeben hat, um die Aussichten des Landes auf eine nachhaltige und stabile Zukunft zu verbessern.

Die Windräder von Tafila stehen für eine neue Industrie, die die Wirtschaft des Landes verwandeln wird. Jordanien will spätestens 2020 zehn Prozent seines Energiebedarfs aus erneuerbaren Ressourcen decken. Für ein Land, in dem die Energiekosten 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen, spielt das eine große Rolle. Die 38 Windräder von Tafila können mehr als 83 000 der 1,2 Millionen Haushalte in Jordanien mit Strom versorgen. Das staatliche Energieversorgungsunternehmen verpflichtete sich, die gesamte Produktion des Windparks 20 Jahre lang abzunehmen.

Auch mit einem anderen Projekt ebnet die EIB erneuerbaren Energien in Jordanien den Weg in die Zukunft. Im Dezember sagte sie dem staatlichen Energieversorger 66 Millionen Euro zu, um die Infrastruktur für die Anbindung von Ökostromanlagen an das Netz zu finanzieren.

Mit diesem Strom soll Wasser durch die neue Pipeline in den Norden Jordaniens nahe der Stadt Irbid gepumpt werden. Außerdem werden mit dem Darlehen bis 2018 eine neue Wasseraufbereitungsanlage und drei Pumpstationen finanziert.

Tablets in der ganzen Region

Zurück zur Zeltschule im Bekaa-Tal: Romen Mathieu, der Chairman von ITWorx, betont vor allem, dass sein Programm bei Weitem nicht so kostenintensiv ist wie ein Infrastrukturprojekt. Mit seiner E-Learning-Plattform Winjigo könnte das Unternehmen innerhalb von drei Monaten sämtliche syrischen Flüchtlingskinder im Libanon erreichen. Er beziffert die Kosten pro Schüler im ersten Jahr auf 200 US-Dollar. Im zweiten Jahr betragen sie nur noch 120 US-Dollar, weil das Tablet weiter benutzt werden kann. Das Programm könnte also sehr zügig in der Region und darüber hinaus umgesetzt werden. „Wir werden auf unseren Erfahrungen mit syrischen Flüchtlingen im Libanon aufbauen und sie auf Jordanien, die Türkei und sogar Flüchtlinge in Europa übertragen“, plant Mathieu.

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