Einleitende Key Note von Dr. Werner Hoyer, Präsident der Europäischen Investitionsbank, beim Accelerating Hydrogen Deployment-Event der Lighthouse Initiative von Hydrogen Europe am 30. März 2022.


Es gilt das gesprochene Wort


 

>@EIB

Lieber Jorgo, werte Mitglieder von Hydrogen Europe,

sehr geehrte Projektträger,

Investoren und Partner,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

meine Damen und Herren,

 

ich freue mich sehr, hier und heute über die Herausforderungen und Chancen der Wasserstoffwirtschaft zu sprechen und mit Ihnen einen Blick auf die Fortschritte der Leuchtturmprojekte zu werfen, die im Mittelpunkt dieser Veranstaltung stehen.

Während ich hier vor Ihnen stehe, denke ich an den verheerenden Angriff auf die Ukraine mit all seinen Konsequenzen – auch für die Energiewirtschaft.

Aber schauen wir zunächst kurz auf das, was uns noch vor wenigen Wochen als die größte Herausforderung unseres Jahrhunderts erschien: Genau, die Bewältigung des Klimawandels.

Vor gut einem Monat, am 28. Februar, veröffentlichte der Weltklimarat seinen neuesten Bericht – versehen mit einer Warnung, die es in sich hatte. Dem Weltklimarat zufolge

  • „ist der Klimawandel eine ernste und wachsende Bedrohung für das menschliche Wohlergehen und die Gesundheit des Planeten“,
  • „wird die Welt in den nächsten zwei Jahrzehnten unvermeidbar mit zahlreichen Klimagefahren konfrontiert sein“,
  • und wenn wir das 1,5-Grad-Ziel überschreiten, führt dies zu „zusätzlichen schwerwiegenden Auswirkungen, von denen einige irreversibel sein werden“, selbst wenn die Überschreitung nur vorübergehend sein sollte.

Diese beispiellose globale Herausforderung erfordert beispielloses globales Handeln.

Wir, die Europäische Investitionsbank, die Klimabank der EU, werden alles tun, um unseren Teil beizutragen.

Wir haben zugesagt, im entscheidenden Jahrzehnt 1 Billion Euro für Klimaschutz und ökologisch nachhaltige Investitionen zu mobilisieren ... und wir werden diese Zusage einlösen ... zusammen mit Ihnen ... den Projektträgern und Investoren der Wasserstoffwirtschaft.

Denn Wasserstoff – und damit renne ich bei Ihnen offene Türen ein – gehört ganz sicher zu den Technologien, mit denen sich in den nächsten Jahren enorme Mengen CO2 einsparen lassen.

Natürlich wissen wir alle um die Umwandlungsverluste und die schwierige Handhabung des Gases ...

... aber neben diesen physikalischen Nachteilen gibt es vor allem einen großen Vorteil: die extrem hohe Energiedichte.

Wasserstoff enthält knapp dreimal so viel Energie wie Benzin. Deshalb ist er eine äußerst attraktive Energiequelle für die Stahl-, Zement- und Chemieindustrie, den Schwerverkehr und die Luftfahrt, wo es nur wenig Dekarbonisierungsoptionen gibt, ...

... aber auch für die Energiespeicherung, um Erneuerbare noch stärker in den Energiemix zu integrieren.

Das Potenzial von Wasserstoff in Branchen, die nur schwer zu dekarbonisieren sind, kann gar nicht hoch genug veranschlagt werden.

Doch kehren wir zurück in die Realität von heute. In den vergangenen Wochen wurde uns schmerzlich bewusst, welche Bedrohung Russlands Angriffskrieg in der Ukraine für Europa bedeutet. Wenn der Krieg die Energiekosten in die Höhe treibt, betrifft das uns alle – Bürgerinnen und Bürger wie Unternehmen. Wie wichtig Energieunabhängigkeit wirklich ist – jetzt wissen wir es wieder.

Vor dem Hintergrund dieser dramatischen Ereignisse hat die Europäische Kommission am 8. März das Programm „REPowerEU“ vorgeschlagen – um die steigenden Energiepreise abzufedern, Europas Gasversorgung zu diversifizieren ... und den Übergang zu sauberer Energie zu beschleunigen.

Denn, um es mit den Worten von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu sagen: „Wir dürfen uns einfach nicht auf einen Lieferanten verlassen, der uns schlichtweg bedroht.“

Europa braucht mehr Tempo beim Umstieg auf erneuerbare Energien – das ist die schlichte Wahrheit. Und dazu kann erneuerbarer Wasserstoff entscheidend beitragen.

Anders ausgedrückt: Alles, was Wasserstoff langfristig für unser Klima leistet, wird er viel kurzfristiger schon für unsere Energieunabhängigkeit leisten.

So kann er zum Beispiel Erdgas in der Strom- und Wärmeerzeugung ersetzen – wenngleich die Kosten dafür sorgfältig abzuwägen sind.

Theoretisch könnte für diese Anwendungen im aktuellem Gasverteilnetz ein gewisser Anteil Wasserstoff beigemischt werden.

Wenn wir heute reichlich erneuerbaren Wasserstoff zu günstigen Preisen zur Verfügung hätten, würde das bereits helfen, jene Versorgungsängste abzubauen, die den Gaspreis aktuell explodieren lassen.

Der „REPowerEU“-Vorschlag der Kommission stärkt die Rolle von Wasserstoff und hat deshalb meine volle Unterstützung.

Bis 2030 sehen die Pläne eine Produktions- und Importsteigerung auf 20 Millionen Tonnen vor – fast das Vierfache.

Bei REPowerEU geht es aber auch um die Voraussetzungen für den langfristigen Einsatz von Wasserstoff in der EU: Wir brauchen ein Regelungsumfeld, das einen europäischen Wasserstoffmarkt fördert und eine integrierte Infrastruktur für Gas und Wasserstoff vorantreibt.

Die EU-Führungsspitzen haben die strategische Bedeutung von Wasserstoff erkannt. In der Erklärung von Versailles bekräftigten sie am 11. März erneut ihre Absicht, einen Wasserstoffmarkt für Europa zu schaffen.

Angesichts des Klimawandels und der geopolitischen Situation ist die Wasserstofftechnologie dringender denn je – und nie war die Unterstützung größer.

Jetzt sind wir alle gefragt, um die Vision Realität werden zu lassen: die Branche selbst und die Geldgeber.

Wir als Europäische Investitionsbank haben in den vergangenen zehn Jahren über 550 Millionen Euro bereitgestellt – für Kredite, die Wasserstoffprojekten direkt zugutekommen. Damit wurden Investitionen von mehr als 1,2 Milliarden Euro finanziert.

Wir haben Kredite für Forschung und Innovation an Unternehmen vergeben, die zu Brennstoffzellen oder industriellen Anwendungen für Wasserstoff forschen ...

... wir haben wasserstoffbetriebene Züge und Tankstellennetze finanziert, um Wasserstoff im Mobilitätssektor zu verankern ...

... und unlängst auch eine Solarstromanlage, die Wasserstoff als Energiespeicherlösung integriert.

Inzwischen sehen wir immer öfter Projekte für den großmaßstäblichem oder industriellen Einsatz.

Diese ambitionierten Vorhaben, die mehrere Elemente der Wertschöpfungskette abdecken, sind die nächste entscheidende Etappe in der Entwicklung des europäischen Wasserstoffmarkts, davon bin ich überzeugt.

Lassen Sie mich Ihnen, die diese Leuchtturmprojekte entwickeln, sagen:

Ihre Ideen sind entscheidend und werden uns beweisen: Wasserstoff ist im großen Maßstab und im industriellen Kontext nutzbar.

Diese Projekte können letztlich den Ausschlag für niedrigere Kosten und eine breitere Nutzung von Wasserstoff geben.

Wenn Ihre Projekte zeigen, dass Wasserstoff im großen Stil funktioniert, entstehen gleichzeitig dringend benötigte Skaleneffekte entlang der Wertschöpfungskette ...

... zum Beispiel durch größere Fertigungskapazitäten für Elektrolyseure – das käme dem gesamten Markt zugute.

Deshalb will die Europäische Investitionsbank mehr über Ihre Pläne für Wasserstoffprojekte wissen. Sagen Sie uns, wie wir Sie unterstützen können.

Sprechen Sie mit uns über Fördermöglichkeiten – der Moment könnte nicht günstiger sein.  Wir haben gerade ganz neue Instrumente für Finanzierungen und Beratung definiert, die wir unter der InvestEU-Vereinbarung mit der Europäischen Kommission einsetzen. Genaueres dazu wird Ihnen mein Kollege Jean-Christophe Laloux nachher berichten, er ist für Finanzierungen und Beratung in der EU zuständig.

Das neue InvestEU-Mandat bedeutet auch neue Finanzierungsinstrumente, neue Kapazität und neuer Appetit ... auf Wasserstoffprojekte und einen aktiven Beitrag zur Energiewende.

Zwischen Hydrogen Europe und der Europäischen Investitionsbank besteht eine Beratungsvereinbarung. Deshalb stehen wir heute bereit, um mit Ihnen in alle Richtungen zu prüfen, wie wir Blockaden lösen und mehr Tempo machen können.

Wir freuen uns darauf, Ihre Leuchtturmprojekte erstrahlen zu lassen!

Meine Damen und Herren,

wenn wir die Jahrhundertaufgabe „Klimawandel“ anpacken, wenn wir unsere Energieunabhängigkeit stärken wollen, dann müssen wir Wasserstoff etablieren – quer durch Europa.

Zugegeben, noch sind nicht alle Aufgaben gelöst – aber das Momentum war nie so stark wie jetzt.

Deshalb werden wir es schaffen – davon bin ich zutiefst überzeugt –, so wie wir es vor nicht allzu langer Zeit bei Wind- und Solarkraft geschafft haben.

Wir müssen nur an uns, an unsere Fähigkeiten glauben. Denn wenn es uns gelingt, haben wir unendlich viel zu gewinnen. Und wir müssen optimistisch bleiben.

Die Europäische Investitionsbank, die Klimabank der EU ist bereit, diesen Weg mit Ihnen zu gehen ... wie schon bei so vielen anderen Schlüsseltechnologien.

Wir krempeln die Ärmel hoch, damit Sie unsere Finanzierungslösungen nutzen können, und bei Bedarf satteln wir unsere Beratungsdienste obendrauf.

Vielen Dank für die Einladung, es ist mir eine Ehre, am heutigen Tag hier bei Hydrogen Europe und Ihnen allen zu sein.

Ich wünsche Ihnen eine produktiven Austausch und freue mich schon auf einen intensiven Dialog mit den heute vorgestellten Leuchtturmprojekten.

 Danke!