Das Schienennetz auf dem Balkan wird nachhaltiger und smarter. Davon profitiert die gesamte Region, auch Montenegro

Das Bahnnetz auf dem Westbalkan ist in schlechter Verfassung: Die Gleise wurden jahrzehntelang nur unzureichend gewartet, und schneller als 100 Kilometer pro Stunde ist man nur auf 31 Prozent des Schienennetzes unterwegs. Doch jetzt gibt es Licht am Ende des Tunnels. Denn Politik und andere Beteiligte widmen sich nun verstärkt der Modernisierung von Schienennetz, Rollmaterial und Logistik.

Ein Beispiel dafür sind die jüngsten Verbesserungen auf der Strecke zwischen Vrbnica und Bar in Montenegro.

„Der technische Zustand der Bahnlinie hat sich durch Investitionen in die Schieneninfrastruktur gebessert, und damit auch die Sicherheit und Qualität des Güter- und Personenverkehrs“, erklärt Dragan Radević, stellvertretender CEO des für die Eisenbahninfrastruktur von Montenegro zuständigen Unternehmens ZICG. „Darüber freuen sich vor allem die 1,2 Millionen Menschen, die jedes Jahr auf dieser Strecke fahren. Und indirekt profitiert davon die gesamte Wirtschaft, weil Handel, regionale Integration und nachhaltiges Wachstum gefördert werden.“

Laut Radević werden Menschen aus dem weniger entwickelten nördlichen Teil Montenegros die Bahn künftig häufiger nutzen. Das sind vor allem Studierende, die mit dem Zug einfach und günstig nach Podgorica und an die Küste gelangen, aber auch Touristen aus Serbien.

Ein weiterer Vorteil der Modernisierung: Die Bahn wird schneller.

 „Wenn die gesamte Strecke erneuert ist, sind Geschwindigkeiten von bis zu 80 Kilometer pro Stunde möglich“, so Radević.  

Die Europäische Investitionsbank (EIB) unterstützt die Sanierung von Abschnitten zwischen Bar und Vrbnica auf Montenegros Korridor Orient/Östliches Mittelmeer mit einem Kredit von 20 Millionen Euro. Hinzu kommt ein EU-Zuschuss von weiteren 20 Millionen Euro über den Investitionsrahmen für den westlichen Balkan. Mehr als 13 Millionen Euro hat die EU für die Vorbereitung von Investitionspaketen und dringend notwendige Hang-Sanierungsarbeiten zur Vermeidung von Erdrutschen für diesen Abschnitt zugeteilt.

Licht am Ende des Tunnels

Die Strecke Bar–Vrbnica galt bei ihrer Eröffnung 1976 als eine der modernsten Bahnstrecken der Zeit. Seitdem wurden jedoch weder das Signalsystem noch die zahlreichen Brücken und Tunnel umfassend überholt. Derzeit laufen rund 20 Prozent des gesamten Personen- und 60 Prozent des Güterverkehrs in Montenegro über diese Strecke. Durch die jüngsten Verbesserungen dürfte sich die Zahl der Fahrgäste von jährlich 1,2 Millionen auf 1,4 Millionen und das beförderte Gütervolumen von 1,0 Millionen Tonnen auf 1,5 Millionen Tonnen erhöhen.

„Wir arbeiten jetzt mit neuen IT-Plattformen. Das erleichtert uns die Arbeit“, erklärt Spasoje Krackovic, der im Bahnhof von Podgorica im Bereich Betriebssteuerung arbeitet. „Der Bahnverkehr wird jetzt effizienter gesteuert, was die Sicherheit erhöht.“

Durch die Sanierung der Bahnstrecke sinken künftig auch die laufenden Kosten für das montenegrinische Infrastrukturunternehmen ZICG, weil regelmäßige Wartungsarbeiten wegfallen. Zudem ist die Sanierung Voraussetzung dafür, dass der Hafen von Bar stärker genutzt und dadurch rentabler wird.

Grüner reisen mit der Bahn

Ein wesentlicher Impuls für die gezielte Erneuerung der Bahninfrastruktur ging vom ersten Eisenbahngipfel für den Westbalkan aus, den die EIB 2021 zusammen mit dem Sekretariat der Verkehrsgemeinschaft und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung organisierte. Auf der Veranstaltung verpflichteten sich Politik und Bahnbranche dazu:

  • direkte Intercity-Verbindungen in der Region und in die Europäische Union wiedereinzurichten
  • die Digitalisierung voranzutreiben, um Daten zum grenzüberschreitenden Passagier- und Frachtverkehr auszutauschen und zu verknüpfen
  • die Sicherheit von Bahnübergängen zu erhöhen
  • den Eisenbahnmarkt für den Wettbewerb zu öffnen

Mit diesen Verbesserungen will die Region die Voraussetzungen für einen multimodalen Verkehr schaffen, um die Umweltverschmutzung einzudämmen und die Bahn attraktiver zu machen. Das könnte weniger Staus und Verkehrstote auf den Straßen im Westbalkan bedeuten, wo die Zahl der Pkw pro 1 000 Einwohner mit 233 sehr hoch ist. Die meisten dieser Autos verbrauchen viel Kraftstoff und sind zudem mehr als zehn Jahre alt.

Da präsentiert sich der Schienenverkehr als klimafreundliche Alternative. Er trägt weniger als 0,5 Prozent zu den Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors in der EU bei und ist auch für den Güterverkehr die energieeffizienteste Lösung: Ein einziger Zug transportiert im Schnitt so viele Güter wie 280 Lastwagen.

„Unsere Verkehrsprojekte sollen wirtschaftlich tragfähig sein, und dazu gehört auch die Anpassung an den Klimawandel“, sagt Lilyana Pavlova, EIB-Vizepräsidentin mit Aufsicht über die Finanzierungen der Bank im Westbalkan. „Gleichzeitig sollen sie umweltfreundlich sein, für mehr Sicherheit sorgen und das soziale Wohl im Auge haben. Der Schienenverkehr steht auf unserer Agenda weit oben und soll wieder attraktiver werden. Wir wollen die Bahn zum Verkehrsmittel erster Wahl in der Region machen, das Menschen und Güter schnell und sicher ans Ziel bringt.“

 Pavlova weiter: „Mit einer smarten, sicheren und digitalen Bahn schonen wir die Umwelt und stellen die Weichen für eine nachhaltigere Mobilität.“

Regionale Kooperation und Konnektivität

Der Westbalkan profitiert vom Know-how des JASPERS-Teams, das von der EIB und der Europäischen Kommission finanziert wird. Die JASPERS-Fachleute helfen den Infrastrukturverantwortlichen bei der Planung und Durchführung von Schienenprojekten. Ihr neuester Auftrag: Beratung zum Thema Sicherheit an Bahnübergängen im Schienennetz der Region. Diese Art der Unterstützung sowie die vorteilhaften Kredite und EU-Zuschüsse machen die EIB Global – den zuständigen EIB-Geschäftsbereich für die Region – zu einem wichtigen Geldgeber für den Schienenverkehr im Westbalkan.

„Die EIB Global will zusammen mit der Region den Zustand der Infrastruktur verbessern. Dazu bietet sie technische Hilfe für die Vorbereitung wichtiger Projekte des Wirtschafts- und Investitionsplans“, erklärt Matteo Rivellini, der bei der EIB Global die Abteilung Westbalkan und Türkei leitet. „Bis dato hat die Bank fast 650 Millionen Euro in den Eisenbahnsektor des Westbalkans investiert und damit die regionale Zusammenarbeit und Konnektivität gefördert.”

 Rivellini weiter: „Die Prioritäten der EIB Global decken sich mit den neuen EIB-Leitlinien für Verkehrsfinanzierungen und der Konnektivitätsagenda der EU. Die Bank will vor allem wichtige Strecken elektrifizieren und modernisieren und Dieselloks durch Elektroloks ersetzen. Das ist der Schlüssel zu weniger Lärm, weniger Umweltverschmutzung und weniger CO2-Emissionen.“