Wie wirkt sich das Coronavirus auf die Kapitalmärkte aus? Können die Anleihemärkte in der aktuellen Wirtschaftskrise funktionieren? Wir haben unsere Kapitalmarktexpertin gefragt.

Die Coronakrise hat unser Leben verändert. Aber bleibt das nun so? In unserer Reihe Ändert sich jetzt alles? sprechen wir mit Expertinnen und Experten der Europäischen Investitionsbank über die Auswirkungen von Covid-19 auf die Bildung, Digitalisierung, Mobilität in Städten und Medizin – und auf unser tägliches Leben.

Was das Coronavirus für die Kapitalmärkte bedeutet, erklärt uns Eila Kreivi, Direktorin der Hauptabteilung Kapitalmärkte der Europäischen Investitionsbank, der Bank der EU.


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Ändert das Coronavirus die Zukunft der Kapitalmärkte?

Wir können gerade nur schwer in die Zukunft blicken. Ich denke aber schon, dass uns Änderungen erwarten werden – manche technischer, manche grundlegender Natur. Die Finanzmärkte haben in den letzten zwölf Jahren schon so einiges mitgemacht, sind sozusagen krisenerprobt. Deshalb erwarte ich keine umwälzenden Veränderungen. Aber hier und da wird sich bestimmt etwas ändern.

Wie können sich die Kapitalmärkte auf die aktuelle Lage einstellen?

In den letzten Jahren haben die Zentralbanken immer weiter Geld in die Märkte gepumpt, selbst als Europa wieder Tritt fasste. Kaum redeten wir aber ernsthaft über ein Ende des lockeren Geldes, da kam Corona, und wir sahen, dass wir noch viel, viel mehr Liquidität brauchen. Das bleibt auch so.

Man befürchtete nun, dass die Zentralbanken ihr ganzes Pulver schon verschossen haben. Plötzlich tun die Regierungen das, was schon oft von ihnen verlangt wurde: Sie drehen den Geldhahn auf und sind bereit, mehr Schulden aufzunehmen, um die Wirtschaft zu unterstützen.

Die jetzige Krise unterscheidet sich von allen früheren Krisen. Bisher war der Finanzmarkt oder der Staat oder irgendein anderer Bereich betroffen. Jetzt ist es die gesamte Wirtschaft, einfach alles: der private und der öffentliche Sektor, Staaten, Banken, Unternehmen. Das macht den großen Unterschied aus. Die Pandemie trifft alle, und ohne staatliche Hilfe wären wir verloren. Soviel steht fest.

In Europa wird unter anderem eine Vergemeinschaftung der Schulden diskutiert. Ob es in dieser Krise so weit kommen wird? Das kann ich nicht sagen. Die Diskussionen laufen noch, und jeden Tag hört man etwas anderes. Ich glaube, auf die ein oder andere Art wird es soweit kommen. Vielleicht nicht in Form von Eurobonds, aber in anderer Form. Eine Vergemeinschaftung wird in gewisser Weise sogar in dem Vorschlag der EIB propagiert – jedenfalls im Ansatz. Wir werden also in Zukunft ein bisschen mehr damit zu tun haben.

Praktisch bedeutet das, dass Staaten über Anleihen enorm viel Geld aufnehmen müssen, damit die Wirtschaft am Laufen bleibt, Löhne gezahlt werden können, und Unternehmen, Banken, eben einfach alle gestützt werden. Langfristig geht das auf Kosten der Steuerzahler, denn wenn Staaten sich Geld leihen, kann es später nur auf eine Art zurückgezahlt werden. Ich fürchte, das wird die künftigen Generationen treffen.

Sie sagten, die Wirtschaft solle mithilfe von Anleihen am Laufen gehalten werden. Ende März begab die Europäische Investitionsbank eine Anleihe über drei Milliarden Euro – und das, während alle Marktakteure im Homeoffice waren. Wie ging das?

Das ging tatsächlich ziemlich gut. Hätten Sie mich im Januar gefragt, ob wir „das mal ausprobieren sollen“, dann hätte ich Sie für verrückt erklärt und die Antwort wäre nein gewesen. Wenn man aber keine andere Wahl hat, muss man einfach mal machen.

Wir haben getestet, ob das auf unserer Seite möglich ist. All unsere Banker, Händlerinnen und Konsortialführer waren daheim. Ebenso wie die Anleger. Wir wussten nicht, ob ihnen die vorliegenden Informationen reichten, ob ihre IT-Ausrüstung gut genug funktionieren würde. Wir waren über verschiedene Zeitzonen verteilt. An derartigen Transaktionen sind oft Menschen aus verschiedenen Ländern beteiligt – von Asien bis Amerika.

Ohne den äußeren Zwang hätte ich so etwas nie gemacht. Als alles unter Dach und Fach war, war ich schon sehr erleichtert.

Im Vergleich zu Aktienmärkten sind die Kapitalmärkte relativ computergesteuert. Für Anleihen gibt es keinen Parketthandel. Funktionieren Anleihemärkte deshalb in Situationen wie jetzt besser als Aktienmärkte?

Ich bin keine Spezialistin, was die Aktienmärkte angeht, aber ich denke, wir sind ziemlich gut aufgestellt. Unsere Handels- und Kommunikationsplattformen funktionieren online sehr gut.

Wenn aber eine Organisation komplett auf Telearbeit umstellt – sei es die EIB, eine andere Bank oder eine Investmentgesellschaft –, dann wird die Bandbreite ihrer Systeme ganz anders beansprucht, als wenn nur wenige im Homeoffice arbeiten. Das war natürlich im Grunde ein Riesenexperiment. Das WLAN ist daheim nicht dasselbe wie im Büro. Alles kann im entscheidenden Moment zusammenbrechen.

Ich würde sagen, wir waren gut vorbereitet, gleichzeitig aber auch auf alles gefasst.

Wie könnte sich die Lage auf den Kapitalmärkten auf den Alltag der Menschen auswirken? Oder auf die Finanzierung von Kommunen, Regionen oder auch Unternehmen?

Privatleute merken glaube ich gar nicht so sehr, was auf den Finanzmärkten los ist, außer es kommt zu großen Problemen. Die bekommen sie dann mit, wenn auch vielleicht mit etwas Verzögerung.

Unternehmen und Kommunen konnten zum Beispiel sehen, dass Banken ihren Kundinnen und Kunden Zahlungsaufschübe gewähren, weil diese nicht so liquide sind wie sonst. Aufseher und Regulierer wollen sich in der Krise großzügig zeigen. Sie werden von den Banken nicht verlangen, gleich den Wert ihres gesamten Portfolios zu berichtigen, wenn wegen der Coronapandemie ein paar Zahlungen ausfallen. Alle tragen ihren Teil bei. Zumindest die großen Unternehmen und die Kommunen dürften besser dastehen als befürchtet.

Wer wirklich leidet, das sind die kleinen und mittleren Unternehmen und Beschäftigte im informellen Sektor. Diese fallen oft durch das Raster. Auf sie müssen wir besonders achten.

In den vergangenen Jahren haben wir den Schwerpunkt auf nachhaltige Finanzierungen gelegt, besonders in Sachen Umwelt. Die Stichworte lauten Umwelt, Soziales und Governance, im Englischen kurz ESG. Die Krise hat vor allem das „S“ in den Vordergrund gerückt: Unternehmen, die ihre Beschäftigten oder ihre Kundschaft in der Krise schlecht behandeln, schaden ihrem Ruf. Dafür gibt es bereits Anzeichen. Hier hebt sich die EIB besonders positiv hervor. Wir versuchen, andere zu sensibilisieren und dem Markt Informationen und Handlungsleitlinien zur Verfügung zu stellen – in Zukunft mehr denn je.

Sie erwähnten kurz, wie die Europäische Investitionsbank die Wirtschaft ankurbeln will. Wie wichtig ist es ihrer Meinung nach jetzt für die Kapitalmärkte, dass eine Institution wie die EIB reibungslos eine Anleihe in der Größenordnung von drei Milliarden Euro begibt? Als Zeichen, dass alles relativ normal ablaufen kann.

Ich denke, das ist sehr wichtig, denn früher oder später muss jemand dem Markt beweisen, dass es geht. Wir eignen uns als Vorreiter, da wir kein nationales Institut sind und somit keine staatliche Unterstützung erhalten, wie das oft der Fall ist. Wenn wir es also ohne diese Unterstützung schaffen, schaffen es auch viele andere.

Damit haben wir ein wichtiges Zeichen gesetzt. Als ich auf meinem LinkedIn-Profil darüber postete und mich bei allen Beteiligten in dieser schwierigen Zeit bedankte, bekam ich viele Kommentare und Klicks. Man muss sich einfach trauen. Man kann kleine Transaktionen vornehmen, die nicht so sehr auffallen, wenn etwas schiefläuft. Läuft eine große Transaktion schief, dann merkt das jeder. So gesehen war das eine sehr mutige Aktion.

Drei Milliarden Euro sind auf jeden Fall eine große Transaktion, da sind wir uns alle einig. Danke, Eila!

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