Europa muss bei den Verkehrsemissionen auf die Bremse treten. E-Autos helfen, werden die Schadstoffbelastung und die sozialen Probleme in der Mobilität jedoch nicht komplett beseitigen

In einem Pkw sind im Schnitt 900 Kilo Stahl verbaut, und bei der Herstellung fallen rund 17 Tonnen CO21 an. Ganz schön viel, wenn man bedenkt, dass die meisten Autos 97 Prozent der Zeit ungenutzt herumstehen.

„Wer ein Auto kauft, weiß, dass es die meiste Zeit nicht genutzt wird“, so Mauro Ravasio, der sich bei der EIB mit urbaner Mobilität beschäftigt. „Egal, wie Sie über Autos denken: Sie werden zugeben, dass das rein wirtschaftlich eine schlechte Investition ist.“

Ein Viertel aller Treibhausgasemissionen stammt aus dem Verkehrssektor – 70 Prozent davon gehen auf den Straßenverkehr zurück. Wenn die Europäische Union ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent reduzieren will (mit Blick auf das Pariser Abkommen muss sie das), dürfen wir das Auto nur noch nutzen, wenn alle anderen Mobilitätsoptionen ausfallen.

Ein Wechsel auf E-Autos hilft, die Emissionen zu bremsen. Um sie aber auf null zu bringen, müssen wir unser Verhalten ändern. E-Fahrzeuge verursachen in der Herstellung nämlich mehr CO2-Emissionen als traditionelle Verbrennungsmotoren. Und da das Laden des Stromers billiger ist als eine Tankfüllung, könnten die niedrigeren Betriebskosten uns durchaus verleiten, mehr zu fahren.

„Wenn aber statt anderer, effizienterer Verkehrsarten deutlich mehr E-Autos genutzt würden, könnte das die Vorteile des elektrischen Antriebs letztlich zunichtemachen“, befürchtet Ravasio.

Neues Mobilitätsverhalten

Wie kann Europa den Emissionen des Straßenverkehrs also das Stoppschild zeigen? Wir müssen die Menschen dazu bewegen, und vielleicht auch drängen, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen und aktiv mobil zu werden, das heißt: zu Fuß gehen, Fahrrad fahren und auf E-Bikes, Scooter und kleine E-Motorräder umsteigen. Effizienter als mit dem ÖPNV kann man nicht unterwegs sein. Er verbraucht am wenigsten Energie pro zurückgelegtem Kilometer und bläst im Vergleich zu den aktuellen Technologien, E-Fahrzeuge inbegriffen, am wenigsten CO2 in die Umwelt.

„Die Regierungen müssen ehrgeizigere Ziele für ein neues Mobilitätsverhalten vorgeben“, glaubt Ravasio. „Aber das ist nicht einfach.“

Der ÖPNV triumphiert vor allem dort, wo viele Menschen auf engem Raum leben. Allerdings ändern sich durch mehr Homeoffice die Kriterien für die Wohnortwahl. Aktuell könnte der Trend durchaus dorthin gehen, wo man sich mehr Platz leisten kann – raus aus den Ballungsräumen. Die Folge wäre eine Zersiedelung, die wiederum schlecht für die Emissionen, die Umwelt und die Artenvielfalt ist.

E-Autos und später autonome Fahrzeuge könnten die ÖPNV-Nachfrage letztlich sogar kannibalisieren. „Denkbar ist eine Abwärtsspirale: Der ÖPNV wird unattraktiv, weil er zu umständlich ist“, so Ravasio, „und als einzig vertretbare Alternative bleibt das Auto.“

E-Autos starten durch

Vom Umstieg auf das E-Auto profitieren vor allem Städte. Neben geringeren Fahremissionen gelangen auch weniger Schadstoffpartikel in die Luft – gerade im Vergleich zu Dieselfahrzeugen. Reifenabrieb und Bremsstaub, beide nicht unerheblich, ändern sich hingegen nicht. Schätzungen zufolge sterben in der Europäischen Union jedes Jahr 1,3 Millionen Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung. Dafür helfen die leisen E-Fahrzeuge, den oft ohrenbetäubenden Lärm in den Städten zu reduzieren.

Verschiedene Länder und Städte drängen aus diesen Gründen auf den Umstieg. Das „Fit für 55“-Paket der Europäischen Kommission umfasst beispielsweise neue Vorschriften, um die CO2-Emissionen von Autos bis 2035 auf null abzusenken. Damit wären wir praktisch gezwungen, von Verbrennern auf Stromer zu wechseln.

Nachdem der weltweite Absatz von E-Fahrzeugen (und allen anderen Pkw) 2020 pandemiebedingt eingebrochen war, konnte er sich 2021 mehr als verdoppeln. Auch der Marktanteil von E-Autos stieg. Zusammen mit Hybrid- und Plug-in-Autos kamen sie auf 19 Prozent der Autoverkäufe in Europa.

Mit dem starken Absatzwachstum dürfte etwas anderes sinken: die Preise. Dazu tragen auch günstigere Batterien bei. Gleichzeitig steigt allmählich die Reichweite der E-Fahrzeuge, die lange als Handicap galt. „Damit schwindet die ‚Reichweitenangst‘, die viele noch vom Umstieg abhält“, erklärt Caroline Lemoine, Senior Engineer für urbane Mobilität bei der EIB.

An der fehlenden Ladeinfrastruktur, die ebenfalls viele abschreckt, arbeitet die EIB. Sie hat Projekte von Allego in den Niederlanden, von ENELX in Italien, von GreenWay in Mittel- und Osteuropa und von Total in Frankreich, den Benelux-Ländern und Deutschland gefördert. Außerdem hat sie Darlehen in Spanien und Italien vergeben. Das Ziel der Europäischen Union sind 1 Million Ladestationen – bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Ende 2021 zählte sie erst knapp 300 000. Und 1 Million Ladepunkte erfordern enorme Investitionen.

2020 und 2021 unterzeichnete die EIB Darlehen von 1,6 Milliarden Euro für E-Fahrzeuge und Batteriepilotprojekte in EU-Ländern. Häufig war dabei InnovFin im Spiel, eine gemeinsame Initiative mit der Europäischen Kommission, damit innovative Unternehmen und Einrichtungen in Europa leichter und schneller Kapital erhalten.

Digitale Lösungen

Die eigentliche Herausforderung liegt aber darin, das Verhältnis unserer Gesellschaft zum Auto und seiner Nutzung neu zu definieren. Wenn man genau hinschaut, bewegt sich bereits etwas. Shared Mobility ist massiv im Kommen, und der Besitz eines Autos hat für die jüngere Generation nicht mehr die Bedeutung wie früher.

Eine Studie in den Niederlanden ergab, dass Car-Sharing tatsächlich zu weniger gefahrenen Kilometern beigeträgt und viele Abonnenten gar kein Auto mehr besitzen. Werden Parkplätze zu Parks und neuen Wohnungen, können Sharing-Dienste auch die städtische Lebensqualität verbessern.

Mobilität ist mittlerweile in vielen Fällen eine App-basierte Dienstleistung. Dank der Digitalisierung floriert die sanfte Mobilität mit Sharing Angeboten für Fahrräder, Scooter und kleine E-Motorräder. Auch der ÖPNV profitiert davon. Apps verknüpfen bestehende Verkehrsangebote mit überall verfügbaren sanften Verkehrsträgern und weisen so bequem den Weg von Tür zu Tür.

Apps, die für jede Autofahrt die tatsächlichen Kosten inklusive Versicherung und Steuern berechnen und dem ÖPNV gegenüberstellen, könnten auch das Kostenbewusstsein schärfen. „Stellen Sie sich mal vor, Autoversicherung und Autosteuer würden nicht jährlich pauschal abgerechnet, sondern nach Kilometerleistung“, schlägt Lemoine vor. „Wenn Sie wüssten, was eine Fahrt tatsächlich kostet, würden Sie sich das Einsteigen sicher zweimal überlegen.“

Autonome Fahrzeuge als Bindeglied zu den Hauptachsen des Bus- und U-Bahn-Netzes könnten den ÖPNV attraktiver machen. Statt ausschließlich fester Routen und Fahrpläne würde das Angebot stärker nachfragegesteuert und wesentlich flexibler. „Bus und Bahn würden dadurch effizienter und erschwinglicher“, glaubt Lemoine.

Wenn uns das Autozeitalter eines gezeigt hat, dann das: Unregulierte Mobilität führt nicht zu einem optimalen Wachstumsmuster, sondern zu Zersiedlung, Verkehrsüberlastung und Luftverschmutzung. Das ist schlecht für die Umwelt und die Artenvielfalt, aber auch für die soziale Teilhabe. Ein effizienter, sicherer und erschwinglicher ÖPNV, da sind sich Ravasio und Lemoine sicher, bedeutet für große Teile der Gesellschaft Zugang zu Jobs, Gesundheitsversorgung und Bildung.

„Wir stecken mitten in einer Klimakrise und müssen das Steuer herumreißen. Die Technologie hilft uns dabei, allerdings reicht Innovation alleine vielleicht nicht aus“, gibt Ravasio zu bedenken.

„Aber eines können wir sofort tun, damit der Kurswechsel gelingt: unser Verhalten ändern.“

  1. Der CO2-Fußabdruck wird in CO2-Äquivalenten (CO2e) gemessen, einer Maßeinheit zur Vereinheitlichung der Klimawirkung der unterschiedlichen Treibhausgase.