EU-Finanzierung für Covid-19-Impfstoff bringt deutsches Unternehmen mit hervorragenden Testergebnissen auf die Zielgerade

Eine kurze Pause gönnten sich Özlem Türeci und ihr Mann Uğur Şahin, als die Testdaten für den Covid-19-Impfstoff ihres Unternehmens BioNTech vorlagen. Eine Tasse Tee – mehr war nicht drin für die beiden, die sich sonst fast rund um die Uhr der Forschung widmen.

„Es war Oolong-Tee, um genau zu sein“, sagt Türeci. „Den mögen wir beide, und er ist schnell gemacht. Wir hatten nicht viel Zeit zu feiern.“

Die beiden Immuningenieure wissen, welche Bedeutung ihre Forschung für einen Impfstoff gegen die tödliche Krankheit hat, die seit Anfang 2020 die Welt im Würgegriff hält. Die 53-jährige Türeci und der 55-jährige Şahin, beides Kinder türkischer Einwanderer, haben ihr Mainzer Unternehmen BioNTech im Rennen um einen Impfstoff an die Spitze gebracht. Am 9. November gaben sie bekannt, dass ihr Impfstoff BNT162 nach einer Zwischenanalyse der Phase-3-Studie zu mindestens 90 Prozent wirksam vor einer Erkrankung an Covid-19 schützt.

Diesen Erfolg hat auch die Europäische Investitionsbank ermöglicht, mit zwei Krediten an BioNTech seit 2019. Die jüngste Finanzierung wurde zu Beginn der Pandemie auf den Weg gebracht, nachdem die Fachleute der Bank beim Blick in ihr Portfolio zu dem Schluss kamen: BioNTech zählt zu denen, die es schaffen können.

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BioNTech-Vorstandschef Uğur Şahin gründete das Unternehmen 2008 zusammen mit seiner Frau, um Krebstherapien zu entwickeln.

EU-Gelder für Covid-19-Impfstoff fördern innovative und risikoreiche Projekte

Die Bank der EU hatte BioNTech im Dezember 2019 bereits einen Kredit über 50 Millionen Euro für die Forschung an Krebstherapien gewährt und war vom Team des Unternehmens beeindruckt. Einen weiteren Kredit über 100 Millionen Euro unterzeichnete die EIB im Juni dieses Jahres, nach einer Genehmigung in Rekordzeit: In zwei Monate wurde das Verfahren durchgezogen, das normalerweise über ein Jahr dauert. Mit dem neuen Kredit finanziert BioNTech die klinische Prüfung und Herstellung seines Impfstoffs. Das Darlehen wird durch das Programm „InnovFin – Eigenkapital für betriebliche Forschung“ und den Europäischen Fonds für strategische Investitionen gefördert. Damit finanziert die EIB mit einer Garantie aus dem EU-Haushalt innovative und risikoreiche Projekte.

„Besser geht es nicht“, sagt Gergely Krajcsi, der als Kreditreferent bei der EIB an der Finanzierung beteiligt war. „Am besten helfen wir im Kampf gegen Covid-19, wenn wir Unternehmen fördern, die neue Impfstoffe, Therapien oder Diagnostika entwickeln. Wir haben alles getan, was wir konnten, um diesen Impfstoff zu ermöglichen.“

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Der Impfstoff BNT162 von BioNTech wird einem Freiwilligen in Deutschland verabreicht.

Anschubhilfe für spätere Entwicklungsphasen

Die BioNTech-Finanzierung ist ein Beispiel unter Dutzenden, die zeigen, wie wichtig das Venture-Debt-Produkt der Bank gerade für Unternehmen im Bereich Infektionskrankheiten ist. Damit schaffen sie den schwierigen Sprung in die späteren Entwicklungsphasen, erklärt Gesundheitsexpertin Christina Niculescu von der EIB. Der Privatsektor scheut Investitionen in diesem Bereich, weil es da oft um Start-ups geht, die noch nicht viel vorzuweisen haben. Zudem ist schwer vorhersehbar, ob sie mit ihren Innovationen letztlich Erfolg haben.

„BioNTech ist wirklich spannend“, sagt Niculescu. „Ein forschungsstarkes europäisches Biotech-Unternehmen, das jetzt beim Impfstoff ganz vorne mit dabei ist und das wir schon vorher unterstützt haben.“

BioNTech ist auch eine Erfolgsgeschichte in Sachen Einwanderung und Geschlechtergleichstellung. Ein großer Teil der Belegschaft sind Frauen. Die Eltern von Türeci und Şahin zogen Ende der 1960er-Jahre aus der Türkei nach Deutschland. „Einwanderer leisten Großes hier in Deutschland und in ganz Europa“, sagt Türeci, die als Chefmedizinerin im Vorstand von BioNTech sitzt. „Ohne sie wäre unsere Forschung kaum zu leisten.“

Das Paar hat sich über die letzten zwanzig Jahre einen Ruf als Workaholics erworben, die ganz für die wissenschaftliche Forschung leben. Selbst am Tag ihrer Hochzeit im Jahr 2002 arbeiteten die beiden morgens noch paar Stunden im Labor. Ihre Bescheidenheit animiert auch die fast 1 500 Beschäftigten, sich für das Unternehmen ins Zeug zu legen. Die beiden besitzen kein Auto. Von Vorstandschef Şahin heißt es, dass er zur Arbeit radelt und zu Meetings in Jeans und mit dem Fahrradhelm unterm Arm erscheint.

Der Weg zum Impfstoff gegen Covid-19

Das Paar gründete BioNTech 2008, um Therapien gegen Krebs zu entwickeln. Mit dem eigenen Unternehmen wollten sie bei der Entwicklung von Innovationen schneller vorankommen. Ihr Erfolg hat die beiden nun zum Vorbild für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemacht, die auch unternehmerisch durchstarten wollen. Im Januar entschied BioNTech, alle Anstrengungen in der Forschung auf einen Impfstoff gegen Covid-19 zu richten. Das Management rief das Projekt „Lightspeed“ ins Leben und stimmte sein Team auf ein hartes Jahr ein.

Viele sagten ihren Skiurlaub ab. Ab sofort wurde im Schichtbetrieb Tag und Nacht gearbeitet, auch am Wochenende ging die Arbeit weiter. All dies, um ein Projekt zu beschleunigen, das normalerweise viele Jahre braucht. BioNTech arbeitet mit dem Pharmakonzern Pfizer zusammen, der seine Kapazität und Kompetenz in klinischen Studien und im Vertrieb einbringt.

Der Impfstoff von BioNTech unterscheidet sich von konventionellen Impfstoffen, wie etwa gegen Grippe oder Masern, für die tote oder abgeschwächte Viren verwendet werden. BioNTech und mehrere andere Unternehmen arbeiten mit einer neuen Technologie: Dabei wird ein nicht ansteckendes Stück sogenannte Boten-RNA, die genetische Informationen enthält, in den Muskel gespritzt. Das bringt die Zellen im Körper dazu, ein Protein zu produzieren, das den Spikes des neuen Coronavirus ähnelt. Und dieses neue Protein veranlasst das Immunsystem, Antikörper zu bilden, die die Krankheit verhindern. Der Impfstoff von BioNTech muss in zwei Dosen verabreicht werden, um wirksam zu schützen.

Nach der Erstanalyse der Studiendaten ist der Impfstoff genauso sicher und wirksam wie andere hochwirksame Vakzine, etwa gegen Masern. Aber Türeci weiß, dass noch viel harte Arbeit vor ihnen liegt, bis sie und ihr Mann wieder Zeit für eine entspannte Tasse Tee finden.

„Jetzt müssen wir sehen, wie lange die Immunität anhält“, sagt Türeci. „Das erste Ziel haben wir erreicht, jetzt gehen wir die nächsten Etappen an.“