Der EIB geht es bei ihren Krediten nicht nur um die Förderung des Wirtschaftswachstums, sondern auch um den Schutz der Menschenrechte. Dafür hat sie eigene Leitlinien

Für die Roma-Familie in Serbien war die Nachricht eine Tragödie: Die Brücke, unter der sie lebte, sollte saniert werden. Ein wichtiges Verkehrsprojekt für die Region bedeutete im Jahr 2007 die Zerstörung ihres Zuhauses – und damit Angst um ihre Zukunft und um ihre Existenzgrundlage, zumal Roma in ganz Europa oft Vorurteilen begegnen und diskriminiert und ausgegrenzt werden.

Finanziert wurde die Brückensanierung damals von der EIB. Gemeinsam mit anderen Geldgebern erarbeitete sie mit der serbischen Regierung einen Umsiedlungsplan. In den ersten drei Jahren des Projekts wurden den betroffenen Roma Sozialwohnungen, Beschäftigungsmöglichkeiten und Ausbildungsprogramme angeboten. Außerdem erhielten sie besseren Zugang zu Gesundheits-, Bildungs- und Sozialleistungen.

Dieses Beispiel zeigt: Es ist nicht immer einfach sicherzustellen, dass Projekte wirklich eine nachhaltige Zukunft für alle schaffen und niemandem schaden. Vor diesem Hintergrund hat die Europäische Investitionsbank erstmals ihren Ansatz zu Menschenrechtsfragen veröffentlicht. Sie beschreibt darin ihre Strategien und Verfahren zum Schutz der Menschenrechte und will damit häufig gestellte Fragen der Zivilgesellschaft und anderer Stakeholder zu den Grundsätzen und Leitlinien der Bank sowie ihren Auswirkungen auf die Menschenrechte beantworten.

„Die Achtung der Menschenrechte ist keine Selbstverständlichkeit, auch nicht in der EU“, mahnt Yasmine Pagni, Leiterin Soziales bei der EIB. „Als Bank der EU spielen wir hier eine wichtige Rolle: Wir müssen hohe Standards setzen und unseren Kreditnehmern bei ihrer Einhaltung helfen.“

Die EIB ist rechtlich an die EU-Grundrechtecharta gebunden. Außerdem hält sie sich bei den Menschenrechten an internationale Gesetze, Grundsätze und Normen, wie etwa die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Damit will sie sicherstellen, dass die mehr als 60 Milliarden Euro, die sie jährlich an Krediten vergibt, wirklich Leben verbessern und die Achtung der Menschenrechte fördern.

Und so funktioniert das Ganze.

Rechenschaft der EU-Bank durch Transparenz

Wenn wir über Wirtschaft sprechen, geht es immer auch um Menschenrechte. Wir achten auf die Menschenrechte, darunter auf:

  • das Recht auf Leben
  • das Recht auf sichere und gesunde Arbeitsbedingungen
  • das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard
  • die Rechte indigener Völker
  • das Recht auf Nichtdiskriminierung
  • die Kinderrechte

Die EIB hat sich verschiedene Leitlinien und Verfahren gegeben, um die Menschenrechte bei ihren Finanzierungen konsequent zu schützen und zu fördern, darunter die Umwelt- und Sozialleitlinien der EIB-Gruppe und der Rahmen für ökologische und soziale Nachhaltigkeit der EIB.

Die EIB verlangt von ihren Projektträgern, dass sie die Menschenrechte in ihre Umwelt- und Sozialprüfung einbeziehen. Dazu gehören der Aufbau und die Pflege konstruktiver Beziehungen zu den vom Projekt betroffenen Gemeinschaften und Einzelpersonen, um sicherzustellen, dass deren Rechte, Ansichten, Interessen und Anliegen während des gesamten Projektzyklus berücksichtigt werden. Die Projektträger müssen den Zugang zu Informationen gewährleisten und dafür sorgen, dass diese rechtzeitig veröffentlicht und transparent verbreitet werden – ohne jegliche Diskriminierung. Dazu kann die Bank den Projektträgern Beratung, technische Hilfe und sonstige Hilfestellung bieten und Studien durchführen.

Darüber hinaus finanziert die EIB keine Projekte, die:

  • persönliche Rechte und Freiheiten einschränken, wie beispielsweise Gefängnisse
  • zu Zwangsarbeit oder schädlicher Kinderarbeit führen
  • das Klonen von Tieren und Menschen zu reproduktiven Zwecken, Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, Herstellung von Tabakwaren oder Glücksspiel betreffen

Alle ausgeschlossenen Aktivitäten sind in dieser Liste veröffentlicht.

„Wir legen Rechenschaft durch Transparenz ab“, sagt Hakan Lucius, Leiter Corporate Responsibility und Zivilgesellschaft bei der EIB. „Eine gute Transparenzpolitik ist in vielen Bereichen, darunter Menschenrechte, bereits der erste Schritt zu verantwortungsvollem Handeln.“

Die Zivilgesellschaft: das wachsame Auge vor Ort

Die EIB lädt Organisationen der Zivilgesellschaft ein, im Rahmen öffentlicher Konsultationen zu ihren Leitlinien Stellung zu nehmen. Die Organisationen haben zudem mehrmals im Jahr die Möglichkeit, mit dem Verwaltungsrat und der Abteilung Ökologische, klimatische und soziale Aspekte der EIB über jedes beliebige Thema zu diskutieren und sich mit anderen Anliegen an die Abteilung Zivilgesellschaft zu wenden.

„Die Zivilgesellschaft ist unser wachsames Auge vor Ort, wenn ein Projekt umgesetzt wird“, so Lucius. „Egal wie oft wir die Projekte überwachen, egal mit wie vielen Menschen wir sprechen: Niemand weiß besser über das Projekt und die Menschen vor Ort Bescheid als die Zivilgesellschaft. Wenn sie ein Problem anspricht, ist das für uns ein wichtiges Warnsignal.“

Es muss allen Personen jederzeit möglich sein, frei mit der EIB und ihren Projektträgern in Kontakt zu treten, um Feedback zu geben, Einwände und Bedenken zu äußern. Die EIB toleriert im Zusammenhang mit von ihr finanzierten Projekten keinerlei Einschüchterungen oder Repressalien und ergreift entsprechende Maßnahmen.

Die Projektträger müssen einen Beschwerdemechanismus auf Projektebene einrichten, damit Bedenken über das Projekt geäußert werden können und während der Projektdauer leichter für Abhilfe gesorgt werden kann.  Beschwerden über Missstände bei der Tätigkeit können auch beim Beschwerdemechanismus der EIB-Gruppe eingereicht werden, der das Beschwerderecht der Bürgerinnen und Bürger gewährleistet. Die Hauptaufgabe dieses Mechanismus besteht darin, Bedenken über ein Projekt oder eine Aktivität der EIB-Gruppe aufzugreifen. Die Prüfung eines Falles kann entweder durch eine Compliance-Prüfung oder ein Streitbeilegungsverfahren erfolgen. Bei einer Compliance-Prüfung wird kontrolliert, ob die EIB-Gruppe ihre Leitlinien, Standards und Verfahren eingehalten hat.

„Wir sind eine unabhängige Stelle in der Generalinspektion“, sagt Sonja Derkum, Leiterin der Abteilung Beschwerdemechanismus. „Wir haben robuste Leitlinien, die unsere Unabhängigkeit vor möglicher Einflussnahme schützen. Als Leiterin der Abteilung treffe ich die endgültigen Entscheidungen über die Zulässigkeit eines Falles, über die Art und Weise unserer Untersuchung und über den Abschlussbericht.“

In Malawi gab es 2021 bei einem EIB-Wasserprojekt Probleme mit der Entschädigung für Schäden an Privateigentum. Der Beschwerdemechanismus der Bank ermöglichte einen konstruktiven Dialog zwischen der betroffenen Gemeinschaft und dem Projektträger. So einigte man sich darauf, dass der Kreditnehmer im Rahmen seiner sozialen Unternehmensverantwortung folgende Verbesserungen für den Beschwerdeführenden erbringt: Einrichtung kommunaler Wasserstellen, Entschädigungszahlungen für Bäume und Ernteausfälle sowie Sanierung eines Gebäudes, das als Gesundheitseinrichtung umgenutzt wurde.

Der Beschwerdemechanismus funktioniert nach einem zweistufigen System: Falls die Beschwerdeführenden mit der abschließenden Antwort der Bank nicht zufrieden sind, können sie sich mit ihrer Beschwerde an die Europäische Bürgerbeauftragte wenden.

Umfeld und Kommunikation sind entscheidend für Menschenrechte

„Wir müssen bei jedem Projekt auch das Umfeld berücksichtigen“, so Pagni, Leiterin Soziales. „Dabei geht es um Fragen wie: Gibt es Konflikte, Instabilität und schwache Führungsstrukturen, schutzbedürftige Menschen oder bestimmte Sektor- und Geschäftsaktivitäten, die sich häufig auf die Menschenrechte auswirken, wie Landerwerb, Umsiedlung, massive Arbeitsmigration oder hoher Wasserverbrauch? Zum Umfeld gehören auch die Erfahrung und die bisherige Bilanz von Projektträger, Zulieferern und anderen Beteiligten sowie die Frage, inwieweit diese in der Lage sind, mit Menschenrechtsrisiken umzugehen.“

Die mit Projekten verbundenen Risiken werden von der EIB bewertet. Bei Umsiedlungen, insbesondere bei Straßenbau-, Stadtentwicklungs- und Energieprojekten, ist die Gefahr von Menschenrechtsproblemen oft größer. Eine weitere Risikoquelle sind die Lieferketten, in denen Arbeitsrechte wie der Ausschluss von Kinder- und Zwangsarbeit oder die Gewährleistung von Chancengleichheit und menschenwürdiger Arbeit eingehalten werden müssen. 

„Eine gute Kommunikation und der Austausch zwischen dem Projektträger und der betroffenen Gemeinschaft können das Risiko von Problemen in der Regel stark mindern“, so Derkum.

Erfahrungsaustausch

Die EIB beteiligt sich an Arbeitsgruppen mit anderen multilateralen Entwicklungsbanken, vor allem über das Independent Accountability Mechanisms Network, über das die verschiedenen Mechanismen ihre Best Practices austauschen können.

Die Banken lernen auch dann voneinander, wenn etwas Unerfreuliches passiert. Vor einigen Jahren war eine internationale Finanzierungsinstitution bei einem ihrer Infrastrukturprojekte mit einem Fall von geschlechtsspezifischer Gewalt konfrontiert. Dies führte zu einem Umdenken bei den multilateralen Entwicklungsbanken. In enger Zusammenarbeit wurden Vorgehensweisen ausgearbeitet, die so etwas in Zukunft verhindern sollen. Alle beteiligten Einrichtungen nahmen das sehr ernst. Die Europäische Investitionsbank nahm damals Anforderungen in ihre Umwelt- und Sozialstandards auf, die geschlechtsspezifische Gewalt verhindern sollen.

Die EIB lernt im Bereich Menschenrechte ständig dazu

Die EIB-Mitarbeitenden werden regelmäßig zu Risiken und Red Flags geschult, die bei Projektprüfung und -überwachung auftreten können. So wird sichergestellt, dass die Menschenrechte in allen Projekten gewahrt werden.

„Wenn unsere Mitarbeitenden das Recht auf Information in Projekten und die damit verbundenen Vorteile besser verstehen, sind sie besser in der Lage, einen guten Plan für den Stakeholder-Dialog aufzustellen und umzusetzen“, sagt Derkum.

Das Gleiche gilt für die Projektträger. Bei Großprojekten in abgelegenen Gebieten, wo der Zustrom von Arbeitskräften zu Problemen führen könnte, hilft die Bank ihnen beispielsweise, die Risikofaktoren für geschlechtsspezifische Gewalt besser zu verstehen und zu verringern. Die Bank erstellt und überarbeitet außerdem Leitsätze für Projektträger z. B. zum Dialog mit den Stakeholdern und zu unfreiwilliger Umsiedlung. Auch zum Thema Verhinderung und Bekämpfung von Repressalien hat der Beschwerdemechanismus ein Dokument veröffentlicht.