Warum Investitionen jenseits unserer Grenzen wichtig und sinnvoll sind

Von Werner Hoyer, Präsident der Europäischen Investitionsbank

EIB-Präsident Hoyer in Washington, um die digitale Entwicklung zu fördern
EIB-Präsident Hoyer

Vor einigen Wochen war ich in Tallinn zu einem Treffen im Vorfeld der estnischen EU-Ratspräsidentschaft, die nächsten Monat beginnt.  Ich erfuhr, dass die Esten ein Sprichwort haben: Man kann die Suppe nicht auf einer Topfseite dicker kochen. Das veranschaulicht ziemlich gut, worum es bei Zusammenarbeit und gemeinsamer Nutzung von Ressourcen geht – wer mitmacht, macht für alle anderen mit, und der Anteil des Einzelnen steht im Verhältnis zu den Beiträgen aller anderen.

Das derzeitige Klima der Abschottung mag dazu verleiten, die Finanzierungen der Europäischen Union – und somit auch der EU-Bank – außerhalb Europas als Nullsummenspiel oder als wohltätige Spende zu betrachten. Beide Betrachtungsweisen sind falsch, denn sie verzerren die tatsächlichen Gründe dafür, warum Länder gut daran tun, auch jenseits ihrer Grenzen zu investieren.

Die heutigen Herausforderungen machen nicht an Grenzen halt

Die Europäische Investitionsbank ist der weltweit größte supranationale Anleiheemittent und Darlehensgeber. Die EIB-Gruppe, zu der auch der Europäische Investitionsfonds gehört, stellt jährlich mehr als acht Milliarden Euro für Projekte außerhalb der EU bereit. 2017 dürften es neun Milliarden werden. Die Bank hat ihre Tätigkeit außerhalb Europas zuletzt ausgeweitet und orientiert sich dabei an den veränderten Schwerpunkten, die die EU weltweit setzt. So unterstützt sie mehrere Ziele für eine nachhaltige Entwicklung, vor allem die Bereiche Klimaschutz, Migration und Mobilität, nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung sowie Handel und wirtschaftlicher Wohlstand.

Die Suppen-Metapher eignet sich gut, um zum Beispiel den Klimaschutz zu beschreiben. Der Klimawandel macht nicht an Ländergrenzen halt, und keine Mauer kann ihn zurückhalten. Wenn wir das 2015 in Paris vereinbarte UN-Ziel erreichen wollen, die globale Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, müssen wir die CO2-Emissionen weltweit verringern. Beim Klimawandel ist es wie bei der Suppe – sie kann in Pittsburgh nicht besser sein als in Pjöngjang oder Paris. Allerdings besteht die Gefahr, dass sie letztlich in allen Regionen zu dünn ausfällt.

Es geht nicht nur darum, dass die EU zu Hause eine Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz spielt. Sie muss auch in anderen Regionen aktiv werden. Ein gutes Beispiel für das konkrete Klimaschutzengagement der EIB ist auf den Malediven zu sehen. Alle Inseln liegen weniger als fünf Meter über dem Meeresspiegel. Steigt dieser infolge des Klimawandels, bekommen das die Einwohner sofort zu spüren. Früher musste der Inselstaat Öl importieren, das von weither per Schiff angeliefert wurde. Der Strom war dadurch extrem teuer und verschlang 35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Nun unterstützt die EIB dort ein Fotovoltaikprojekt mit einem Volumen von 175 Millionen Euro. Die Anlagen werden auf soliden Fundamenten hoch über dem Boden installiert und sind so vor Stürmen und Hochwasser geschützt. Das Projekt trägt dazu bei, die Energieversorgung auf den Malediven widerstandsfähiger zu machen und dem Land zu helfen, sich an die Auswirkungen des Klimawandels anzupassen. Durch die Umstellung auf Ökostrom vermindern sich zudem die Emissionen, und auch wirtschaftlich ist das Projekt absolut sinnvoll.

Ein weiteres Beispiel ist der Inselstaat Vanuatu im Südpazifik. Dort hat die EIB einen innovativen Windpark mitfinanziert – die Windräder können bei Bedarf auf die Erde geklappt werden. Nachdem der Wirbelsturm Pam mit 320 km/h über die Inseln hinweggefegt war, konnten die nahezu unversehrten Windräder einfach wieder aufgerichtet werden. Auch hier gehen Klimaschutz und Klimaanpassung Hand in Hand mit wirtschaftlichen Vorteilen.

Investitionen ohne Grenzen

Allmählich wird die Suppe dicker. Der Windpark bei Devil’s Point in Vanuatu wird von einer Tochter des französischen Unternehmens Engie betrieben. In der heutigen Zeit sind Handel und Investitionen genauso international wie das Problem des Klimawandels. Natürlich ist von Belang, wo die Mittelempfänger ansässig sind, aber Wachstum kann Grenzen überwinden und das ist auch meistens der Fall. Durch die Förderung ausländischer Direktinvestitionen zur Erschließung neuer Märkte, durch die Vergabe von Darlehen an ein großes Netz europäischer Kunden weltweit trägt die EIB-Gruppe zur Wettbewerbsfähigkeit Europas bei und entspricht zugleich erheblichen wirtschaftlichen Interessen der Partnerländer. Der Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung weltweit fördert auch den Welthandel und schafft neue Import- und Exportchancen für europäische Unternehmen. Wir kurbeln damit auch Innovationen auf unserem eigenen Terrain an. Der Austausch von neuen Ideen und von Know-how aus allen Winkeln der Welt und die Zusammenarbeit der hellsten Köpfe führen zu Lösungen für die künftigen Herausforderungen unserer Welt. Selbst wenn wir uns an Raumfahrtprojekten beteiligen – und viel weiter weg geht es nicht –, hat das direkt vor unserer Haustür eine Wirkung. Ein Beispiel dafür ist unser kürzlich vergebener Finanzierungsbeitrag von 30 Millionen Euro an die Bremer OHB System, ein kleines Familienunternehmen, das innovative Raumfahrttechnik entwickelt. Diese Finanzierung wird in der EU unmittelbar mehr Wachstum, Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit bewirken und langfristig die Forschung, Entwicklung und Innovation weltweit voranbringen.

Aber wieder zurück zur Erde: In den Nachbarländern der EU bewirken die Finanzierungen der EIB sogar einen noch konkreteren Nutzen, der beiden Seiten zugutekommt. Die Finanzierung von Verkehrs- und Energienetzen trägt dies- und jenseits der Grenze zur Sicherheit der Energieversorgung bei und schafft die für den Handel notwendige Infrastruktur. Diese Wirtschaftsbeziehungen fördern den Austausch und die Zusammenarbeit und zugleich den Wettbewerb. Da geht es nicht ums Punktezählen, welches Land gewinnt und welches verliert. Es ist eben kein Nullsummenspiel, bei dem der Gewinn des einen den Verlust des anderen bedeutet.

In Ländern wie denen des Westbalkans, die sich auf den EU-Beitritt vorbereiten, tragen die Finanzierungen der EIB dazu bei, die Erweiterungspolitik der EU umzusetzen und die wirtschaftliche Entwicklung zu beschleunigen. Wir helfen ihnen bei der Umstellung auf eine voll funktionsfähige Marktwirtschaft, die dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften gewachsen ist. Neben der Erschließung neuer Märkte für europäische Unternehmen außerhalb der EU spielen die Finanzierungen der EIB in dieser Region auch eine wichtige Rolle bei der Erweiterung des Binnenmarktes. Investitionen in den Aufbau von Infrastruktur in den Erweiterungsländern – kombiniert mit dem anerkannten Fachwissen der EIB – helfen diesen Ländern außerdem dabei, EU-Standards in allen Wirtschaftsbereichen einzuführen und einzuhalten.

Angesichts der enormen Finanzierungslücke ist der kürzliche Paradigmenwechsel – weg von reinen Zuschüssen aus dem Haushalt, um sie stattdessen zum Teil als Garantien für Darlehen einzusetzen – eine intelligente Lösung: Mit den knappen öffentlichen Ressourcen für Entwicklungsvorhaben werden so weitere Mittel aus anderen Quellen mobilisiert. Daran zeigt sich auch, dass die Investitionen keineswegs als wohltätige Spende zu betrachten sind. Seit fast 60 Jahren ergänzt die EIB die Haushaltsmittel, die die EU für die Umsetzung ihrer Außenpolitik einsetzt, durch langfristige Darlehen für die Entwicklung des Privatsektors, Infrastrukturprojekte und Klimaschutzmaßnahmen. Mit der Annahme der Agenda 2030 und des überarbeiteten Europäischen Konsens über die Entwicklungspolitik wird zunehmend anerkannt, dass Darlehen und Finanzierungsinstrumente zusätzlich zu herkömmlichen Beihilfen und Zuschüssen die Wirtschaft glaubwürdiger und wettbewerbsfähiger und somit für weitere Investoren attraktiv machen und dadurch mehr Mittel mobilisiert werden können. Wir müssen versuchen, den Privatsektor bei Finanzierungen ins Boot zu holen und Hindernisse abzubauen, die weitere Geldgeber bisher von einer Beteiligung abhalten. Der Erfolg der Investitionsoffensive für Europa – des sogenannten Juncker-Plans – hat die EU und die EIB-Gruppe ermutigt, das Konzept, Haushaltsmittel als Garantien für Projekte außerhalb der Union einzusetzen, auch bei der geplanten „Investitionsoffensive für Drittländer“ anzuwenden. Darlehen lassen sich erfolgreich mit Zuschüssen kombinieren oder auch mit Verlustpuffern für Fonds, die in Ländern oder Sektoren investieren, die von privaten Investoren als risikoreicher betrachtet werden. So lassen sich Investitionen gezielt dorthin leiten, wo sie am dringendsten benötigt werden und wo sie am ehesten etwas bewirken können.

Mehr als Rendite

Unsere Investitionen haben nicht nur einen wirtschaftlichen Nutzen. Die Wirtschaftsbeziehungen, die mithilfe der Finanzierungen und der technischen Hilfe der Bank aufgebaut werden, tragen dazu bei, die gemeinsamen Werte der EU wie z. B. die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern. Wir sind fest davon überzeugt, dass mehr Gleichberechtigung der Freiheit des Einzelnen zugutekommt. Sie kann jedoch auch das Wirtschaftswachstum beschleunigen. Außerdem können Investitionen für mehr Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit und gegenseitige Rechenschaftspflicht sorgen und den Meinungsaustausch und das gegenseitige Verständnis fördern.

Investitionsvorhaben jenseits unserer Grenzen können dem Risiko gesellschaftlicher und politischer Unruhen vorbeugen. In widerstandsfähigen Volkswirtschaften, die ein robustes und alle einbeziehendes Wachstum verzeichnen und vor allem gleiche Beschäftigungschancen bieten, sind soziale Unruhen, Auseinandersetzungen und Migrationswellen weniger wahrscheinlich.

Die EIB wird nun an dieser Front noch aktiver und setzt bereits die sogenannte Resilienzinitiative um. Diese Initiative dient der Stärkung der wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit der Länder im westlichen Balkanraum und in der südlichen Nachbarschaft, um sie krisenfester zu machen. Die Länder sollen sowohl mit extremen Wetterereignissen infolge des Klimawandels als auch mit den zahlreichen Flüchtlingen aus Kriegsgebieten besser zurechtkommen, die die öffentliche Infrastruktur dieser Länder schnell an ihre Grenzen bringen. Beispielsweise hat die EIB in Jordanien ein mit EU-Zuschüssen kombiniertes Darlehen für das Projekt „Wadi Al Arab Water System II“ bereitgestellt, mit dem die Wasserknappheit im Land gelindert werden soll, die sich durch die große Anzahl syrischer Flüchtlinge weiter verschärft hat. Das Projekt wird die Gebiete, in denen schätzungsweise 1,47 Millionen Einheimische und 163 000 Flüchtlinge leben, jährlich mit zusätzlichen 30 Millionen Kubikmeter Trinkwasser versorgen.

Insgesamt wollen wir durch die Resilienzinitiative in den nächsten vier Jahren Investitionen von 15 Milliarden Euro in diesen Regionen mobilisieren. Geld kann zwar Krieg und Gewalt nicht stoppen, aber wir können mit unserer Initiative Fluchtbewegungen entgegenwirken, die nicht nur auf kriegerische Auseinandersetzungen, sondern auch auf unzumutbare Lebensbedingungen zurückzuführen ist. 

Spürbare Verbesserung der Lebensbedingungen

Die EIB-Gruppe ist in rund 130 Ländern tätig und trägt mit ihren Finanzierungen zu den UN-Zielen für eine nachhaltige Entwicklung bei. Allein die EIB-Finanzierungen im vergangenen Jahr werden nach unseren Analysen Folgendes bewirken:

  • sauberes Trinkwasser und sanitäre Grundversorgung für 6,7 Millionen Menschen
  • Stromanschluss für 1,2 Millionen Haushalte
  • Versorgung von 250 000 Haushalten mit Ökostrom
  • bessere Verkehrsanbindung für 1,2 Millionen Menschen
  • 700 000 Arbeitsplätze durch Kreditvergabe an kleine Unternehmen
  • 4G-Mobilfunkabdeckung für 7,4 Millionen Einwohner

Investitionen sollen Wohlstand für alle bringen – sie sind weder wohltätige Spende noch Ausdruck eines Dominanzstrebens. Investitionen in wirtschaftlich solide, sozial wertvolle und ökologisch sinnvolle Projekte kommen allen zugute und bleiben nicht auf einzelne Regionen begrenzt.  Mit ihrem Engagement außerhalb der EU setzt sich die EIB für die Werte der Union ein und motiviert damit andere Akteure – im europäischen Privatsektor und in Ländern anderer Regionen – zum Mitmachen.