Lässt sich Covid-19 mit Plazentazellen therapieren? Israelisch-europäisches Unternehmen Pluristem will mit Plazentazellen die Selbstheilungskräfte des Körpers aktivieren

Plazentazellen sind einzigartig. Sie sind die jüngsten und potentesten Zellen des menschlichen Körpers – und sie können die Selbstheilungskräfte des Körpers stärken.

Das israelisch-europäische Unternehmen Pluristem nutzt solche Zellen zur Behandlung von schweren Infektionen, Entzündungen oder Durchblutungsstörungen und seit neuestem auch von Covid-19. Dazu entnimmt es Zellen aus nach einer Geburt gespendeten Plazenten und vermehrt sie in einem 3D-Bioreaktor, der die Bedingungen im menschlichen Körper imitiert. Die neuen Zellen werden Erkrankten injiziert und sondern einen Cocktail von Proteinen ab als Reaktion auf den Zustand der erkrankten Person. Das aktiviert die Selbstheilungskräfte des Körpers.

Chen Franco-Yehuda, Chief Financial Officer von Pluristem: „Das funktioniert wie ein kleiner Motor.“

Dieser Motor hilft Corona-Kranken bei Komplikationen wie Lungenhochdruck, Lungenfibrose oder akuten Nierenschäden und Magen-Darm-Störungen. Möglicherweise lassen sich mit dieser Therapie auch das Risiko eines tödlichen Verlaufs von Lungenentzündungen reduzieren und gleichzeitig das Immunsystem stärken. Die Europäische Investitionsbank (EIB) unterstützt Pluristem mit 50 Millionen Euro.

Komplikationen von Covid-19

Pluristem hat in Israel und in den USA Corona-Kranke im Rahmen von „Compassionate Use“-Programmen behandelt, bei denen noch nicht zugelassene Medikamente oder Therapien an Patientinnen und Patienten getestet werden dürfen.

Am 7. April veröffentlichte das Unternehmen vorläufige Ergebnisse aus dem Programm in Israel, in dessen Rahmen sieben an Covid-19 Erkrankte mit akutem Lungenversagen und starken Entzündungen behandelt wurden. Sämtliche Patientinnen und Patienten wurden auf der Intensivstation beatmet.

Nach einer siebentägigen Behandlung waren sie alle noch am Leben. Bei vier von sechs hatte sich die Lungenfunktion verbessert, drei konnten von der Beatmung entwöhnt werden.

In den USA führte Pluristem im Holy Name Medical Center in New Jersey eine „Compassionate Use“-Behandlung an einer erkrankten Person mit Lungenversagen durch. Das Krankenhaus in New Jersey beteiligt sich an einer Phase-III-Studie von Zelltherapien, die das Unternehmen zur Behandlung von Durchblutungsstörungen der Extremitäten (Hände, Füße, Beine) einsetzt. Unbehandelt können solche Durchblutungsstörungen zu Amputationen oder sogar zum Tod führen.

Klinische Studien in Europa

„Compassionate Use“-Studien lassen schon aufgrund ihrer Natur kaum verlässliche Schlüsse über die Wirksamkeit der Therapie zu. Daher hat Pluristem in der EU und den USA Anträge auf klinische Studien der Phase II gestellt.

In Europa werden die Studien in Deutschland am Berlin-Brandenburger Centrum für Regenerative Therapien und Berlin Center for Advanced Therapies der Charité – Universitätsmedizin Berlin durchgeführt. Hier läuft bereits eine Phase-III-Studie, mit der Pluristem die Wirkung bei Durchblutungsstörungen der Extremitäten und nach Hüftfrakturen testet. Dank der klinischen Studien kann Pluristem auch die behördliche Zulassung zur Registrierung und Vermarktung seiner Produkte beantragen.

Die Covid-19-Studien sollen zunächst in Deutschland und Italien und eventuell später auch in anderen europäischen Ländern durchgeführt werden. Die EIB stellt Pluristem 50 Millionen Euro als nicht verwässernde Venture-Debt-Finanzierung bereit. Der Betrag deckt etwa die Häfte der FuE-Kosten in Europa und soll helfen, Therapien zur Marktreife zu bringen. Pluristem betreibt seit Kurzem eine Tochtergesellschaft für Forschung und Entwicklung in Deutschland.

Die Gelder der Europäischen Investitionsbank werden in drei Tranchen ausgezahlt, sobald bestimmte Meilensteine erreicht sind. Das Darlehen der EIB wird durch eine Garantie des Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI), der Finanzierungssäule der Investitionsoffensive für Europa, abgesichert.

„Wir konnten schnell reagieren und eine nicht verwässernde, langfristige Finanzierung bereitstellen, damit Pluristem schneller wichtige klinische Studien durchführen kann“, sagt Anna Stodolkiewicz, Kreditreferentin bei der EIB.

Kompatible Plazentazellen

Plazentazellen haben den großen Vorteil, dass sie allen erkrankten Personen injiziert werden können, unabhängig von Blutgruppe, DNA oder Gewebeverträglichkeit.

Normalerweise müssen Patientinnen und Patienten nach einer Zelltherapie Immunsuppressiva einnehmen, um Abstoßungsreaktionen zu verhindern. Die neutralen Plazentazellen machen solche Behandlungen überflüssig. „Das ist wie bei einer Leihmutterschwangerschaft“, erklärt Franco-Yehuda von Pluristem. „Auch wenn die Mutter genetisch nicht zum Baby passt, stößt ihr Körper den Fötus wegen der Plazenta nicht ab.“

Bei einer Covid-19-Infektion kann das Immunsystem überreagieren, was gegebenenfalls zu multiplem Organversagen führt. Die Therapie von Pluristem hat „immunmodulierende und geweberegenerierende Eigenschaften, die eine Überreaktion des Immunsystems verhindern und womöglich sogar rückgängig machen können“, so Petia Manolova, Volkswirtin bei der EIB.

Neben den Studien für Covid-19 arbeitet Pluristem weiterhin an Therapien zur Behandlung schwerer Infektionen, Entzündungen, Muskelverletzungen, Bluterkrankungen und Durchblutungsstörungen, die meist Folge einer fortgeschrittenen Diabetes-Erkrankung sind.

Die Herkunft der Zellen ist ebenfalls von Vorteil. Für das Verfahren wird die Plazenta von Frauen unter 35 Jahren verwendet, die einen voll ausgetragenen, gesunden Säugling per Wunschkaiserschnitt zur Welt gebracht haben.  „Diese Zellen können Menschen helfen“, sagt Auvo Kaikkonen, Experte für Biowissenschaften bei der EIB.

Nachahmung körpereigener Prozesse  

Pluristem entstand im Bioreaktor.

Das Unternehmen wurde 2003 in Haifa (Israel) gegründet, nachdem die Gründer unter Federführung von Zami Aberman die Patente für einen Bioreaktor erworben hatten, der vom Israeli Institute of Technology und dem Weizmann Institute of Science entwickelt worden war. Unter Aberman untersuchte das Unternehmen, wie die Bioreaktortechnologie genutzt werden könnte, und Pluristem begann mit Plazentazellen zu experimentieren.

„Damals wusste noch niemand, dass sich diese Zellen von anderen Zellarten unterscheiden“, erklärt Franco-Yehuda.

Der dreidimensionale Reaktor imitiert die Bedingungen im menschlichen Körper, sodass die Zellen wachsen können. Mit der Technologie lassen sich mit nur einer Plazenta bis zu 20 000 Behandlungen durchführen. Massenproduktion ist in einer Pandemie ein entscheidender Vorteil.

Die Zellzüchtung ist das eine. Doch wie gelangen die Zellen zum Patienten?

Das Unternehmen sorgt während der Auslieferung für eine lückenlose Kühlkette, damit die Zellen nicht beschädigt oder zerstört werden. Sie bleiben so länger haltbar und können für künftige Behandlungen gelagert werden.

Pluristem notiert an der Nasdaq und der Börse von Tel Aviv. Bislang hat es rund 350 Millionen US-Dollar für technologische Entwicklungen und klinische Studien aufgebracht. Rund 60 Prozent der Führungskräfte sind weiblich. Das Unternehmen erzielt zwar derzeit noch keine Umsätze, will aber in den kommenden Jahren mit der Vermarktung seiner Produkte beginnen.

Für CFO Franco-Yehuda verfügt Pluristem mit der EIB über einen soliden Partner in Europa, das ein großer potenzieller Markt ist. „Das Darlehen der EIB ist ein wichtiger Meilenstein für Pluristem und Beleg für das Vertrauen in unsere Vision.“